Mittwoch, 8. Februar 2017

Wehret den Trump-Verstehern?

Donald Trump ist der neue Präsident der USA. Das wiederum gab und gibt ständig Stoff zur Diskussion. Nun ist es wahrlich nicht so, dass Trump farblos im Weißen Haus sitzt und es eigentlich nichts über ihn zu berichten gäbe. Ganz das Gegenteil ist der Fall. Doch behagt mir die Debatte, wie sie derzeit geführt wird, ganz und gar nicht. Denn diese Diskussion ist durch eine auffällige Einseitigkeit charakterisiert, sie neigt zu Verkürzungen, weist blinde Flecken auf und tendiert ebenfalls in das „Freund-Feind-Schema“, das gerne der Trump-Argumentation unterstellt wird. (Wobei anzumerken ist, dass für mich dabei immer dieses „Wer nicht für uns ist, ist gegen uns“ mitschwingt und diese Parole eigentlich durch George W. Bush mediale Berühmtheit erlangte.)

Jedenfalls bin kürzlich über den Artikel von Stefan Niggemeier „‚Bildervergleichs-Fake‘: Postfaktisch sind immer die anderen“ gestolpert, den ich gerne zum Anlass nehmen möchte, mich diesen Themas einmal anzunehmen. Wie der Titel bereits vermuten lässt, geht es in Niggemeiers Beitrag um die Bilder zur Amtseinführung des neuen Prätendenten der USA. Bekanntlich wurden diese Bilder mit denen zur Amtseinführung von Obama verglichen, wobei sich zeigte, dass dort mehr Menschen zugegen waren als bei Trump. Daraus hatte sich dann die Debatte um „alternative facts“ entwickelt: Die Bilder, die von Trumps Amtseinführung gezeigt wurden, wären - dieser Trump-Argumentation folgend - solche „alternative facts“ und quasi Propaganda gegen Trump.


Die Lanz-Debatte mit Schlaubi Schlumpf von der ARD


Nun wollte es sich auch Markus Lanz im ZDF (Youtube) nicht nehmen lassen, das Thema Trump aufzugreifen. Dazu eingeladen hatte er Wolf von Lojewski, Max Otte, Niklas Frank, Sandra Navidi und Ranga Yogeshwar. Natürlich kam die Runde auch auf die alternativen Fakten zu sprechen. Ranga Yogeshwar wies darauf hin, dass die – in den Medien kursierenden – Bilder zu den Amtseinführungen von Trump und Obama eigentlich nur schwer zu vergleichen seien: Es könnten nur Bilder verglichen werden, die zumindest zum gleichen bzw. ähnlichen Zeitpunkt (Hand auf die Bibel) gemacht worden seien.

Offenbar hatte es dann im Netz einige Personen gegeben, die diese Aussage als Beleg für Lügenpresse und eine Kampagne gegen Trump hernahmen. Die Geschichte ging, wie es neuerdings heißt, viral. Dies nahm wiederum Stefan Niggemeier zum Anlass für weitergehende Recherchen. Er fand dabei dann tatsächlich Bilder von Trumps Amtseinführung, die sich mit denen von Obama vergleichen lassen. Das Ergebnis: Auf den Bildern zu Trump waren immer noch viel weniger Menschen zu sehen als bei denen von Obama.

Soweit so gut. Was Niggemeiers zweifelsfrei interessanten und aufklärerischen Beitrag jedoch enorm schmälert, das ist folgende Aussage:

„Yogeshwar hat recht, wenn er sagt, dass man Fotos vergleichen muss, die zur selben Zeit entstanden sind. Leider sagt er nicht, dass bei einem solchen Vergleich das Ergebnis praktisch identisch ist mit dem, das er als untauglich abgelehnt hat (wofür er als Enthüller öffentlich-rechtlicher ‚Fake-News‘ gefeiert wird).“ (Stefan Niggemeier, Uebermedien)

Diese wird wenig später noch einmal verstärkt:

„Der von vielen – keineswegs allen – Medien verwendete Bildervergleich war ungenau und unfair. Ein genauer und fairer Vergleich hätte aber zu keinem wesentlich anderen Ergebnis geführt. Wenn Ranga Yogeshwar betont, dass man Angst mit Fakten bekämpfen soll, hätte es geholfen, wenn er auch diese Tatsache erwähnt hätte.“ (Stefan Niggemeier, Uebermedien)

Niggemeier suggeriert damit, dass Yogeshwar die von ihm recherchierten Dinge bekannt waren. Somit habe er den medial bekannten Bildvergleich wider besseren Wissens (vorsätzlich) relativiert und das Publikum somit an der Nase herumgeführt, weil selbst auf dem zum Vergleich tauglichen Bild weniger Menschen als bei Obamas Amtseinführung zu sehen seien.

Das Problem ist: Niggemeier führt keinerlei Belege dafür an, dass Ranga Yogeshwar tatsächlich davon wusste oder ggf. auch zu faul zur Recherche war. Zudem begibt er sich in eine widersprüchliche Situation, wenn er darüber klagt, er habe „viele, viele traurige Stunden damit zugebracht, Livestreams durchzusehen, mich bei Google zu verlaufen, Bilder zu suchen und zu vergleichen“ und dann auch noch festhält, dass die Medienberichterstattung in weiten Teilen unfair war. Denn diese Aussage bezieht sich auf genau die Infos, von denen er behauptet, dass Yogeshwar sie ignoriere. Für Niggemeier selbst waren sie offenbar aber auch nicht so einfach zugänglich. Zur Redlichkeit hätte gehört, dass Niggemeier das in der Einschätzung der Sendung und der Situation in der Sendung berücksichtigt.

Denn letztlich gibt es noch eine andere Auslegung. Wer die Sendung geschaut hat, wird ggf. auf die Idee kommen, dass Ranga Yogeshwar
  • dort schlicht aus der Hüfte heraus (ad hoc) naturwissenschaftlich zu argumentieren versuchte (was kaum verwunderlich ist)
  • sich seine Aussage in dem Kontext darauf bezogen, dass nur Vergleichbares verglichen werden kann, und
  • er damit lediglich auf ein – in seinen Augen – Versäumnis der Medien hinwies.
Gerade weil seitens der Trump-Regierung von „alternativen Fakten“ die Rede war, hätten die Medien beim Bilder-Vergleich zumindest einmal Zeitstempel u. ä. angeben können. Stefan Niggemeier sieht Letzteres offenbar auch so und schreibt:

„Es ist ärgerlich, wie fahrlässig viele Medien in dieser Sache agieren. […] [A]n so vielen Stellen, wo Aufnahmen der beiden Amtseinführungen verglichen werden, fehlen diese elementaren Informationen: Wann genau wurden sie gemacht?

Entweder fehlen sie ganz, oder sie sind so vage und ungenau, dass man erst recht Verdacht schöpft – und teilweise scheinen sie auch falsch zu sein. […]

Spätestens als Trumps Sprecher die Wahrheit über die Besucherzahlen bestritt, hätten die Medien erkennen müssen, dass es nicht reicht, einfach zwei irgendwie eindrucksvoll unterschiedliche Bilder nebeneinander zu montieren. Sie hätten das treffendste Bild suchen müssen – und die genauen Umstände angeben, unter denen es entstanden ist.

Das müsste ohnehin selbstverständlich sein, und im Jahr 2017, wenn alle über 'Fake News' reden, umso mehr.“ (Stefan Niggemeier, Uebermedien)

Statt also Yogeshwar zu unterstellen, er hätte es besser gewusst, hätte Niggemeier dessen Aussage auch wohlwollend und positiv aufgreifen können. Dann hätte Ranga Yogeshwar nämlich auf genau den Missstand hingewiesen, den Niggemeier in seinem Beitrag auch kritisiert: Nämlich die unfaire und recht schlampige Arbeit in den Medien, insb. in den „Qualitätsmedien“ der öffentlich Rechtlichen.

Quasseln am Sonntag


Trump war auch Thema bei der Quasselstrippe am Sonntag (Rezension SZ), wo sechs Gäste eingeladen waren, von denen einer (Max Otte) offen Sympathien für Trump zeigte. Ansonsten wurde Trump in den dunkelsten Tönen gezeichnet. Nicht, dass ich jetzt alle Pro-Trump-Argumente nachvollziehen würde. Aber es stellt schon einen merkwürdigen Stand der Debattenkultur und „Verständigung“ dar, wenn:
  1. wir nur in binären Superlativen argumentieren, d.h. Trump als „ganz, ganz schlecht“ dargestellt wird und unterstellt wird, dass die Gegenposition nur „ganz, ganz gut“ sein kann (sprich: die Debatte keine Grautöne kennt); und
  2. in den Diskussionen keine Ausgewogenheit in dem Sinne vorherrscht, dass sich die Zuschauenden eine eigene Meinung bilden können (sollen).
Tatsächlich war schon die Zusammenstellung der Gäste manipulativ: ein Pro gegen fünf Contra.

Es ist auch deshalb manipulativ zu nennen, weil in solch aufgeheizter Diskussion die Doppelmoral, die in einigen Vorwürfe gegenüber Trump steckt, nicht so deutlich wird bzw. gar nicht zur Sprache kommt. Dafür ein Beispiel.

In besagter Sendung wurde Trumps Kritik an dem Richter, der seinen Einreisestopp zurücknahm (ZEIT), mit verbal hochgerüsteter Wortgewalt und empörender Mimik als Angriff auf den Rechtsstaat ausgelegt. Das mag wohl so sein. Doch ein honoriger Historiker – wie er in der Sendung eingeladen war – hätte auch wissen sollen, dass in Deutschland Ähnliches immer und immer wieder zu erleben ist. Nicht ohne Grund muss Karlsruhe in stetiger Regelmäßigkeit die Politik zur Ordnung rufen. Und die Politik ist sich dann wiederum für keine Dreistigkeit zu schade: Erinnert sei an das Urteil zu den Regelsätzen im Arbeitslosengeld II. Im Februar 2010 fiel das Urteil, bis Ende des Jahres sollte die Bundesregierung Änderungen einleiten, die kamen dann irgendwann im Frühjahr 2011, (immerhin) rückwirkend zum 1.1.2011. Die Novelle des Wahlrechts in der BRD ist auch so ein Fall, in dem durchaus auch das Unterminieren des Rechtsstaats und der Demokratie gesehen werden darf. Die Liste an dreisten Versäumnissen und vom Verfassungsgericht gerügten Gesetzen ließe sich beliebig verlängern.

Tja und dann konkret Herr Maas, der ebenfalls zur eben erwähnten Sonntags-Talk-Sendung eingeladen war: Vorratsdatenspeicherung, war da nicht mal was?

Ich fasse dazu einmal kurz zusammen: Stellt es etwa keinen Angriff auf den Rechtsstaat dar, wenn seitens der Gesetzgebung in einer geradezu dreisten Art handwerklicher Ausschuss fabriziert wird und die rechtsstaatliche Ignoranz offenbar das Leistungsmerkmal im politischen Wettbewerb darstellt?

Tja, und was die konkrete Beschimpfung von Verfassungsrichtern anbelangt, die gab es hier übrigens auch: 2016 moserte ein ministerialer Herr De Maizière öffentlich herum, es sei nicht Aufgabe der Bundesrichter, „ständig dem Gesetzgeber in den Arm zu fallen“ (Tagesschau) Ja, der Mann ist heute noch Minister. Wo waren damals die, die heute poltern, dass Trump der Angriff auf den Rechtsstaat und die Demokratie ist? Wo waren die Sendungen, die Psychiater einluden und groß über den Gemütszustand entsprechender politischer Handlungsträger spekulierten. Genau das war nämlich bei der Quasselstrippe am Montag (FAZ) der Fall.

Das ist die Doppelmoral, die ich meine. Auf Trump lässt sich schön schimpfen, weil der ohnehin ein Unsympath ist. Es lässt sich ohne Ansehensverlust in den Reigen der Kritik einsteigen, weil hierzulande fast jeder Mensch Trump doof findet, und ebenso ohne Ansehensverlust kann dann die Kritik bliebig ins Polemische gedehnt werden. Aber selbstkritisch die Augen offen zu halten und in gleicher Weise hier den Anfängen zu wehren, dazu hat von denen, die heute am lautesten schreien, sicher kaum einer den Arsch in der Hose. Im Gegenteil: Viele von denen, die sich heute das Maul zerreißen, werden wohl heimlich selbst gerne wie Trump über das Bundesverfassungsgericht wettern wollen, wenn dort mal wieder ein Gesetz einkassiert wird.

Fazit


Es ist ein etwas großer Sprung von Niggemeiers Kritik an Yogeshwar bis zu TV-Runde bei der Quasselstrippe vom Sonntag. Was beide Fälle zeigen, ist, wie polarisiert die Debatte geführt wird bzw. wie stark die Debatten ins jeweils Extreme reichen. Bei Niggemeier zeigt sich das darin, dass Yogeshwar unterstellt wird, die Zuschauer im Unklaren über den „wahren“ Bildbeweis gelassen zu haben. Und bei den Quasselstrippen ist das bereits an der Zusammenstellung der Gäste, am Leitthema und am O-Ton abzulesen.

Nun kann lang und breit darüber diskutiert werden, ob Trump zu kritisieren sei und was an ihm zu kritisieren ist. Auffällig ist dabei aber, dass es in diesen Debatten offenbar „im Trend“ liegt, negativ über Trump zu schreiben: Bis auf wenige Beiträge wie z. B. in der ZEIT wird nahezu einhellig negativ, in den negativsten Tönen und Auslegungen über Trump berichtet. Trump ist für diese Situation natürlich auch selbst verantwortlich. Aber offenbar spielen die Medien dieses Trump-Spiel, das offenbar auf Provokation setzt, freiwillig oder unfreiwillig mit.

Gleichzeitig verliert die aktuelle Debatte damit aber erheblich an Substanz. Eine sachliche Debatte ist kaum noch möglich, sondern wird von öffentlich zur Schau gestellter Empörung überlagert. Damit sage ich nicht, dass Trumps Äußerungen und Politik frei davon sind, (berechtigte) Empörung auszulösen. Aber gerade wenn es um eine sachliche Analyse z. B. der Wahl Trumps usw. ginge, kann „unsere“ Empörung nicht das alleinige Argument sein. Deshalb greift die Debatte auch viel zu kurz und kratzt allenfalls an der Oberfläche. Gänzlich hohl und verlogen wird es, wenn sich die Empörung allein auf Trump konzentriert, aber in ähnlichen Fällen bezogen auf einen selbst ausbleibt (Beschimpfung von Bundesrichtern usw.). Tatsächlich scheint die Diskussion um Trump deshalb fast nahtlos in Propaganda überzugehen. Greifbar wurde sie in der Sendung der Quasselstrippe am Sonntag, als der Historiker meinte, dass die Wahl Trumps dem Versagen der Demokraten in den USA anzulasten sei. Der Name Bernie Sanders ging ihm wohlweislich nicht über die Lippen, auch keiner anderen Person in der Runde. Zwar fußt die aktuelle Debatte sicher auf einem Teil berechtigter Kritik und Empörung, aber es scheint im aktuellen Diskussions-Klima kaum möglich, einmal sachlich die Ursachen und Sachverhalte (z. B. zur Politik) zu diskutieren bzw. diesen Argumenten Gehör zu verschaffen. Damit meine ich z. B. Fragen, die kürzlich in der ZEIT gestellt wurden: „Was, wenn er doch Erfolg hat?“ (Siehe ergänzend dazu bzw. zur Kritik an Trump als Kontrastfolie, was Tom kurz und bündig zu Obamas Amtszeit bilanziert.) Natürlich ist es nicht so, dass diese Argumente heute nicht auftauchen. Tatsächlich lassen sich auch andere Töne zu Trump finden. Aber in der Summe scheint mir das dann doch recht wenig. Und mich beschleicht der Eindruck, dass diese durchaus relativierenden Argumente in der erhitzten Debatte eher untergehen oder mit Empörung "niedergeschriehen" werden, als dass sie wirklich Eingang in das Nachdenken finden. Jedenfalls ist es schon erstaunlich, dass hier bezogen auf Trump eine strukturell ähnliche Situation der Debatte und Argumente zu erleben ist wie gegenüber Putin und Russland. Was also nur noch fehlt, das ist der Terminus „Tump-Versteher“.

(Update, 08.02.2017, 11.38 Uhr, stilistische Änderungen)

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