Sonntag, 19. März 2017

Kleine Presseschau: SciFi-Blick in die Zukunft und Gauck

Im Freitag findet sich ein Beitrag von Bernd Kramer "Kaputter Fahrstuhl", den ich doch recht lesenswert finde. Kramer 'spinnt' mal ein paar Jahre in die Zukunft und fragt, wie dort 'rückblickend' auf den Sozialstaat geschaut wird. Dabei geht er auch auf verschiedene Lebenssituationen ein - Erben und 'Normalarbeitsverhältnisse'. Ein lesens- und nachdenkenswerter Beitrag.

Ich bin dann ferner noch über einen Beitrag von Jana Hensel in der ZEIT gestolpert: "Joachim Gauck: Der Herzens-Westdeutsche". Das ist ein Beitrag, der sich sichtbar darum bemüht, einen kritischen Ton anzuschlagen, durchaus auch als "kritisch gemeint" durchgehen kann, aber in der Substanz handzahm bleibt. Stattdessen am Ende ein Satz, der die Maske fallen: 
"Joachim Gauck hat dem Amt in einer schwierigen Zeit Würde zurückgegeben."
Ich weiß nicht, was die Autorin geraucht oder sonstwie konsumiert hat, aber es muss verdamt gutes Zeug gewesen sein. Denn anders als Halluzination kann ich mir nicht erklären, wo die Autorin sehen will, dass Gauck dem Amt "Würde" zurückgegeben hätte. Gut, vielleicht mag mensch nach Wulff der Meinung gewesen sein, dass es nicht noch schlimmer kommen kann. Aber nur, weil Gauck sich offenbar kein Mauschel-Skandal leistete, ist dem Amt "Würde" zurückgegeben? Wie sieht's denn aus damit als "unser" Militärpfarrer von der "glücksüchtigen Gesellschaft" sprach?

Nein, mein Präsident war Gauck nicht. Er hat auch nicht den Assoziationen entsprochen, die mit einem Pfarrer aus dem Osten verbunden und damit Grund für seine "Wahl" als Präsident gewesen sein mögen. Dort, wo Wulff wenigstens noch einen sehr seltenen präsidialen Lichtblick hatte und mit der Bekundung, der Islam gehöre zu Deutschland, alles von konservativ bis weit nach rechts in helle Aufregung versetzte, da glänzte Gauck mit Anbiederung und einer kaum verholenen Verachtung für all jene, die nichts mit seiner neoliberalen Freiheitsideologie anfangen konnten. Gauck verkörpert das, was den Apparatschiks, Ja-Sager, Abnicker und Mitläufer der DDR zu Recht als widerlicher Charakterzug attestiert wird: williges und systemkonformes Denken. Gauck ist kein kritischer Denker, kein kritischer Kopf wie Schorlemmer, sondern einer, der heute einfach nur auf der "richtigen Seite" stand und alle jene, die nicht dort stehen, mit Verachtung strafte. Ein Präsident aller Deutschen war Gauck nie, wollte er auch nie sein. Er war Präsident der mehr als besser betuchten Menschen, der "Eliten", der Kriegswilligen, der neoliberalen Geldsäcke und der russophoben Menschenfeinde.

Was ich in dem Zusammenhang deshalb am Ende der Präsidentschaft Gauck zur Lektüre empfehle, das ist ein Interview mit Hans-Jochen Tschiche vom Anfang seiner Präsidentschaft, geführt von der oben genannten Autorin: "Der Anti-Gauck" (Freitag 2012)

[Update 19.03.2017, 17.04 Uhr, einige Ergänzungen und Umformulierungen in den letzten beiden Absätzen.]

1 Kommentar:

Charlie hat gesagt…

Zum Thema Gauck fällt mir auch nicht mehr viel ein. Als ich den von Dir zitierten Satz gelesen hatte, dass Gauck dem Amt "Würde" zurückgegeben habe, war mir aber sowieso unverzüglich klar, dass es sich bei diesem Text um einen dümmlichen Hofbericht, und nicht um Journalismus handelt.

Eine solche geradezu kafkaeske Formulierung setzt ja voraus, dass zuvor irgendwer festgelegt hat, dass die "Würde des Amtes" - was auch immer das wohl sein mag - beschädigt gewesen sei. Das allein ist schon soviel Bullshit, dass man an einer funktionierenden (also nicht mehr existenten) Uni dafür hochkant aus dem Proseminar im ersten Semester geflogen wäre. Dass nun ausgerechnet ein elitärer Freiheitsapostel wie Gauck mit irrsinnigen Begriffen wie "Würde" und "Reparieren" in Verbindung gebracht wird, löst zumindest bei mir nur noch hirnverwesende Heiterkeit aus.

Es gehört nun nicht sonderlich viel Fantasie dazu sich auszumalen, wie die Hofschranzen dem asozialen Steinmeier huldigen werden ... ;-)

Die "Würde des Amtes" - my ass!!! :-) - Ich war viele Jahre lang bei "amnesty international" engagiert und habe mich in diesem sehr kleinen (!) Rahmen für die Freilassung von vielen inhaftierten Menschen weltweit eingesetzt. Von "amnesty" gab es dafür oft Briefvorlagen, die man benutzen und an die entsprechenden Staatsoberhäupter senden konnte. Versehen waren diese Briefe meist mit der Anrede "Exzellenz" - und schon damals keimte in mir der Verdacht auf, dass das feudale System vielleicht doch noch nicht vollständig überwunden sei. - Während der Lektüre des ZEIT-Artikels, den Du verlinkt hast, keimten diese Gedanken erneut.

Liebe Grüße!