Samstag, 3. Juni 2017

Pilotprojekte für Langzeitarbeitslose

Zunächst erst einmal etwas Sozialpolitik aus Österreich. Im März 2017 wurde vom Sozialministerium die Aktion 20.000 plus vorgestellt, mit der Langzeitarbeitslose in Arbeit gebracht werden sollen. Und das liest sich so:
„Für Ältere ist es besonders schwer, einen Arbeitsplatz zu finden, obwohl es viele Bereiche gibt, in denen zusätzliche Arbeitsplätze benötigt werden. Die Bundesregierung hat daher im neuen Arbeitsprogramm die Aktion 20.000 beschlossen, um für über 50-jährige langzeitarbeitslose Menschen 20.000 Arbeitsplätze pro Jahr in Gemeinden, über gemeinnützige Trägervereine und Soziale Unternehmen zu schaffen bzw. zu fördern. […]

Bestehende Arbeitsplätze werden durch die Aktion 20.000 nicht ersetzt. Es werden ausschließlich Beschäftigungsverhältnisse geschaffen, die ohne Beihilfengewährung nicht realisierbar wären. Alle Arbeitsplätze werden nach den jeweils aktuell gültigen kollektivvertraglichen Regeln bezahlt und werden auch vom Arbeitszeitausmaß die materielle Existenzsicherung gewährleisten.

Eine wesentliche Zielsetzung der Aktion 20.000 ist darüber hinaus auch, dass es sich bei den dadurch geschaffenen Beschäftigungsverhältnissen um sinnstiftende und nützliche Arbeitsbereiche handelt. Nur so kann die für die angestrebten Integrationswirkungen wichtige Motivation der betroffenen Personen und der gewünschte wirtschaftliche und gesellschaftliche Mehrwert des Programms erreicht werden.“ (Bundesministerium für Arbeit, Soziales, und Konsumentenschutz, 27.03.2017; Hervorhebungen von mir)

Offenbar geht’s hier um so etwas wie einen ‚zweiten Arbeitsmarkt‘, wobei dort auch ‚Soziale Unternehmen‘ mitspielen.


Der Grund, warum ich das anführe, ist ein Beitrag aus der taz. Am 31.05.2017 wurde dort nämlich über ein Pilotprojekt für Langzeitarbeitslose aus Bremerhaven berichtet: „Wer Hartz IV bezieht, soll was tun“. Der Titel lässt schon ahnen, worauf es hinausläuft. Und tatsächlich:


„Statt einfach nur zu Hause rumzusitzen, sollen Hartz-IV-EmpfängerInnen entgeltfrei in Firmen aushelfen oder öffentliche Grünanlagen pflegen. Ziel ist es, sie durch Arbeit in die Gesellschaft zu integrieren.“ (taz, 31.05.2017)

Welche üble menschenfeindliche Einstellung sich hier übrigens schon ihre Bahn bricht, kommt dann in folgender Aussage der entsprechenden Jobcenter-Geschäftsführerin völlig zur Blüte: „Integration in den Arbeitsmarkt steht dabei nicht an erster Stelle, sondern die Integration in die Gesellschaft“ (taz, 31.05.2017).

Ich übersetz‘ das mal: Langzeiterwerbslose werden für den Arbeitsmarkt abgeschrieben, gelten den politisch Verantwortlichen aber als derart ‚nicht gesellschaftsfähig‘, dass die Jobcenter sie zu ordentlichen Menschen erziehen sollen.

Wer sich das durchliest, kann den Zynismus dieses Vorhabens in großen Eimern abschöpfen. Schlimmer macht es eigentlich nur der Umstand, dass die Verantwortlichen das noch nicht mal selbst mitbekommen, was sie da an Vorurteilen reproduzieren, und solche Maßnahmen offenbar für ‚sozial‘ halten.

Auf was es letztlich aber hinausläuft, das ist mehr oder minder ‚Zwangsarbeit‘. Zumindest liegt da ein Hauch von ‚house of correction‘ (Wikipedia, ENG) in der Luft. Übles ahnt, wer sich noch daran erinnert, dass die ‚Wirtschaftsweisen‘ um ca. 2010 herum den Vorschlag machten, die Regelsätze für Hartz IV um 30% zu kürzen und den vollen Satz nur bei ‚Arbeitswilligkeit‘ auszuzahlen. Wie lässt sich ‚Arbeitswilligkeit‘ belegen? Durch die Annahme von ‚Bürgerarbeit‘, womit wir schon ziemlich nahe an den Tätigkeiten sind, zu denen Langzeitarbeitslose in dem obigen Projekt verdonnert werden sollen. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt…

Einen schönen Kracher bietet der Artikel am Ende:
Die Agentur für Arbeit räumte ein, dass ihr Vorhaben noch überarbeitet werden muss. Das Konzept wurde von Detlef Scheele, Chef der Bundesagentur für Arbeit im engen Schulterschluss mit Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles erarbeitet. Über den Sommer sollen die Details ausgearbeitet werden.“ (taz, 31.05.2017)
Tja, die ‚s’PD wieder einmal. Immer dabei, wenn’s um sozialstaatliche Verschärfungen geht.

Was da ‚sozial‘ offenbar gänzlich in die schiefe Richtung läuft, zeigt ein einfacher Vergleich zur eingangs vorgestellten ‚Aktion 20.000 plus‘ aus Österreich. Wo in Österreich zumindest vom Anspruch her ‚sinnstiftende‘ Arbeit steht, die nach Tarif bezahlt werden und eine Existenz gewährleisten soll, ist das bei dem deutschen Langzeitarbeitslosenprojekt (laut taz) auf kostenlose Zwangsarbeit ausgerichtet. Steht in Österreich zumindest die Existenzsicherung im Zentrum, ist es in Deutschland das Lotterleben, das den Langzeitarbeitslosen ausgetrieben werden soll.

Tja, wer sich fragt, warum niemand mehr die ‚s’PD ernst nimmt, wenn sie von ‚sozialer Gerechtigkeit‘ u.Ä. spricht, findet in dem Vergleich dieser beiden Projekte für Langzeitarbeitslose eine weitere Antwort darauf.

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