Freitag, 14. Juli 2017

Linksdiffamierung

Bereits im Vorfeld und dann auch am Ende des G20-Treffens war seitens Medien und Politik eine Haltung zu erleben, die in der Tendenz den G20-Protesten gegenüber negativ eingestellt war. Was nun seit dem Ende des G20-Treffens in dieser Woche geschah, diese Hetze gegen „Links“ und diese vehemente Leugnung und Verklärung von missbräuchlicher Staatsgewalt, das hätte ich in diesem Ausmaß nicht erwartet.

Damit meine ich nicht solche Vollhonks wie Bosbach, die bei Maischberger die konservative Mimose geben (MEEDIA). Das war vorhersehbar. Wobei wir für diese eklatante und durchschaubare Luftnummer auch dankbar sein müssen: Denn die darauf folgende Aufforderung von Maischberger an Ditfurth, sie möge doch wegen der Parität auch gehen, zeigt, wie Redaktionen und Moderation wirklich ticken.

Wirklich entsetzlich ist, wie die Regierung bzw. Politik auf Polizeigewalt und die Hinweise auf Grundrechtsverstöße reagiert. Da fragt Tilo Jung auf der Bundespressekonferenz die Regierungssprecher nach Polizeigewalt und dem Entzug von Akkreditierungen bestimmter Presseleute und bekommt was? Fadenscheinige, verschwurbelte Antworten, die um die eigentliche Antwort herumschiffen und Segel ins Ungefähre setzen. Den Kracher liefert Dr. Plate, Sprecher vom Innenministerium. Auf die Frage, wie denn mit den Nachweisen über Polizeigewalt umgegangen wird, eiert er rum und behauptet, davon nichts zu wissen – bis er das dann zum ‚Material‘ degradiert, das ja erst noch zu prüfen sei. Irgendwie bleibt dann aber hängen: „Wir wissen von nichts.“ Dazu dann noch die Ausführungen von Seibert. Ach, schaut’s Euch selbst an.



Das hat schon Qualitäten, die mensch allenfalls mit DDR-Bonzen am Ende der DDR assoziieren mag. Zumindest ist das drecksdreist. Ich kann mir jedenfalls nicht vorstellen, dass keiner aus der Politik nicht mittlerweile mal von der Webseite g20-doku.org gehört hat. Dort wird gesammelt, was einfach nur wütend macht.

Übertroffen wird das nur noch von seinem verantwortungslosen Gesellen wie Olaf Scholz, der einem dreist in die Kamera lügend behauptet: „Polizeigewalt hat es nicht gegeben, das ist eine Denunziation, die ich entschieden zurückweise.“ (ZEIT) Schön, dass die ZEIT das entsprechend kontrastiert:


„Scholz' Aussage steht zudem im Kontrast zu 35 Ermittlungsverfahren gegen Polizeibedienstete, die derzeit in Hamburg laufen. In 27 Fällen gehe es um Körperverletzung im Amt, sagte ein Sprecher der Hamburger Innenbehörde. Sieben der 35 Verfahren sind laut der Welt gar von Amts wegen eingeleitet worden, darunter in vier Fällen wegen Körperverletzung im Amt.“ (ZEIT)

Auf Buzzfeedsnews gab’s übrigens den Hinweis, dass die Zahlen der „verletzten“ Polizisten eigentlich unter dem Schlagwort „Fake News“ verbucht werden sollten:


„Mehr als die Hälfte der Verletzungen meldeten die Polizisten schon vor den Protesten. […] Zudem sind etliche Verletzungen nicht auf die Demonstranten zurückzuführen. So zählte die Polizei zum Beispiel Kreislaufprobleme ebenfalls zu den gemeldeten Verletzungen. Die allermeisten Polizisten konnten spätestens am nächsten Tag wieder am Einsatz teilnehmen, häufig auch deutlich eher. […]

Mehr als 95 Prozent der als verletzt erfassten Polizisten konnten bereits nach kurzer Behandlung vor Ort wieder weiter arbeiten, zeigen die Recherchen von BuzzFeed News. Von den 476 gemeldeten Polizisten wurden insgesamt 21 Beamte so verletzt, dass sie auch noch am Folgetag oder länger nicht einsatztauglich waren. Offiziell als schwer verletzt gelten zwei Beamte der Bundespolizei. Die 16 Bundesländer meldeten auf Anfrage keine schwer verletzten Polizisten.“ (Buzzfeedsnews)
Um’s klarzustellen: Verletzungen sind Mist, ja. Aber die Zahlen sind anscheinend maßlos übertrieben und in dieser Übertreibung werden sie instrumentalisiert. Angesichts des Umstands, dass Polizeigewalt nicht erfasst wird (Tilo Jung/YT), dagegen vorzugehen auch so gut wie aussichtslos ist (correctiv.org) und komischerweise kaum jemand mal in den öffentlichen Medien die Verletzten durch Polizei thematisiert, kann die Empörung über Gewalt gegenüber der Polizei als billige Agitation abgetan werden.

Den nächsten Kracher liefern nun die vorgeblich „christliche“ DU und ausgerechnet die einstmals freiheitlichen Liberalen aus NRW: Die Abschaffung der Kennzeichnungspflicht für Polizei (ZEIT). Man wolle Polizeibeamte nicht unter Generalverdacht stellen, heißt es. Ja klar, aber wenn ich als Normalbürger schwarze Sachen trage, dann darf ich generalverdächtigt werden? Demnächst reicht schon, dass ich „linke“ Texte schreibe, im Jugendzentrum arbeite, das wiederum einem konservativen Vollhonk nicht genehm ist. Vielleicht reicht schon die falsche Musik. Super. Wer schützt uns dann vor der Humorlosigkeit von Konservativen? („Welcome to hell“ wurde von denen ja auch reiflich falsch verstanden…) Tja und so wird in NRW offenbar die Abschaffung der Kennzeichnungspflicht durchgeboxt mit einer FDP, die sonst immer so für Freiheitsrechte einzutreten vorgibt. Klar, damit sind ja nur wirtschaftliche Freiheitsrechte gemeint. Danke für die Ehrlichkeit…

Beim Schmierblatt meiner „alten Heimat“ habe ich dann die nächsten Sachen entdeckt. Am 13.07.2017 berichtete die LVZ „De Maizière will Treffs der linken Szene in Leipzig-Connewitz schließen“. Dazu muss mensch wissen, dass de Maizière in Sachsen schon mehrfach in Regierungsverantwortung saß (auch im Innenministerium) und Leipzig im braunen Sachsen halt ein rotes Fleckchen ist. Und noch etwas sollte aufhorchen lassen: Es geht um alternative Jugendzentren. Wenn de Maizière die näher untersuchen lassen will, heißt das nichts anderes, als Jugendarbeit geheimdienstlich zu überwachen. Toll, denn alles, was den konservativen Betonköpfen nicht passt, läuft Gefahr, als „alternativ“ oder „links“ in die Fänge der Verfassungsschützer delegiert zu werden. Dass insb. Sachsen auf dem rechten Auge blind ist, ist ja mittlerweile ein offenes Geheimnis. Daraus ergibt sich die gleiche Problematik wie eben erwähnt bezüglich des Versuches, in NRW wieder die Kennzeichnungspflicht für Polizei abzuschaffen. Jedenfalls gab’s diese Woche auch kritische Stimmen gegen die Äußerungen von de Maizière (LVZ). Aber davon ließ sich der Leipziger Polizeichef Merbitz nicht beirren. Offenbar durch den geistigen Blödsinn von de Maizière bestärkt, sprach er bezüglich der alternativen Szene von „rechtsfreien Räumen“ und stelle klar: „Die Zeit des Redens muss vorbei sein“ (LVZ vom 14.07.2017, paywall).

Insgesamt wird also gehörig „links“ und „rechts“ vermengt, d.h. im Grunde wird rechte Gewalt verharmlost. Jetzt heißt es wieder, es müsse etwas gegen Linksextremismus getan werden. Was das heißt, habe ich eben am Beispiel Leipzigs und NRWs gezeigt. Die Vehemenz und Intensität, in der das zu Markte getragen wird, zeugt mindestens von einer klammheimlichen Freude der Rechten und Konservativen.

Aber neben dieser Agitation kommt noch etwas hinzu: In den Artikeln und Äußerungen, die die Polizei in Schutz nehmen, wird auch noch verstärkt ein geradezu blindes Vertrauen in die Polizei eingefordert. Ich bin zu faul, das hier herauszusuchen. Aber bei Maischberger, in diversen Artikeln usw. war davon zu lesen, ohne oder kaum eines Widerworts. Ganz so, als ob es NSDAP, Gestapo usw. nie gegeben hätte. Aufhorchen lassen muss das nicht allein ob dieser Geschichtsvergessenheit. Problematisch ist, dass diese Argumentation und Denke letztlich zur Konsequenz hat, in jeder, die sich kritisch bzw. „links“ äußert, eine terroristische Gewalttäterin zu sehen.

Was mich in der Summe erschreckt, das ist die Wucht und Schnelligkeit, mit der sich in nur einer Woche ein kampagnen-artiger Diskurs gegen links über das Land ergießt. Nachdem, was ich so wahrnehme, scheinen auch „Linke“ nicht so recht mitzubekommen, was eigentlich passiert: „Links“ wird nämlich mit Gewalt und Terrorismus besetzt bzw. um-etikettiert. Es war zwar bis vor wenigen Wochen auch schon „radikal“ oder „extrem“ vermeintlich „linke“ Positionen zu vertreten. Also machen wir uns nichts vor: Die Maßstäbe sind schon länger arg verschoben. Wobei dann noch nicht mal konkret klar ist, was mit „links“ gemeint wird. Aber sei’s drum: „Linke“ waren Spinner, vielleicht sympathische Utopisten, aber nichts, was ernst zu nehmen sei. „Linksradikal“ oder „extrem“ sind dann solche Forderungen wie die nach offenen Grenzen, nach dem bedingungslosen Grundeinkommen, 90 Prozent Einkommenssteuer usw. Wie gesagt, alles, was bis vor zwei Wochen noch mitleidig als „träumerisch“ und „unrealistisch“ belächelt werden konnte.

Nun aber lächelt niemand mehr. Empörung und Alarmismus herrschen vor. Was einst als linke Spinnerei abgetan wurde, das wird wohl zukünftig als Indikator für linken Terror und linke Gewalt herhalten. Wer sich also zivilgesellschaftlich für Dinge einsetzt, die Regierenden schwer im Magen liegen – etwas für Flüchtlinge, gegen Bankenzocke und gegen Lobbyismus etc. –, der oder die wird Gefahr laufen, sich dem Vorwurf auszusetzen, mit einem Bein bereits in einer terroristischen Vereinigung zu stehen.

Das Einfordern blinden Gehorsams gegenüber den Staatsbehörden, das zum Teil autoritätshörige Beklatschen der Polizeigewalt seitens der Bevölkerung sowie der damit einhergehende politisch, medial und zivil begleitete Backlash gegen „links“ (die Kommentarspalten der Zeitungen leben reges Zeugnis darüber ab) – all das lässt für die Zukunft eine urban-industrielle Dystopie erwarten, die wir eher aus dem Cyberpunk kennen.

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